Neuanfang - Predigt zum Ewigkeitssontag (2.Petrus 3,8-13)

Sun, 26 Nov 2023 21:14:56 +0000 von Tobias Patzwald

Ihr dürft aber eines nicht vergessen, meine Lieben: Ein Tag ist für den Herrn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind für ihn wie ein Tag. Der Herr zögert nicht, sein Versprechen zu erfüllen, auch wenn einige das meinen. Vielmehr hat er Geduld mit euch. Denn er will nicht, dass jemand zugrunde geht. Im Gegenteil: Er will, dass alle ihr Leben ändern. Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb. Dann wird der Himmel in tosendem Lärm vergehen. Die Himmelskörper werden im Feuer verglühn. Und die Erde mit allem, was auf ihr lebt, wird aufhören zu sein. Wenn alles auf diese Weise vergeht, dann bedeutet das für euer Leben jetzt: Es muss von Heiligkeit geprägt sein und von der Ausübung des Glaubens. Wartet darauf, dass der Tag Gottes kommt. Setzt alles daran, seine Ankunft zu beschleunigen! An diesem Tag wird der Himmel im Feuer vergehen. Und die Himmelskörper werden in der Gluthitze schmelzen.  Doch dann erwarten wir einen neuen Himmel und eine neue Erde, wie Gott sie uns versprochen hat. In ihnen wird Gerechtigkeit herrschen.   

Neuanfang

Wohl die wenigsten würden den Ewigkeitssonntag mit einem Neuanfang in Verbindung bringen, doch er ist genau das. Alles neu. Eigentlich ist das Wort: „neu“ so positiv besetzt. „Neu“ ist gut, neu ist besser. Neu bedeutet neue Chancen und neue Möglichkeiten. Aber im November, da hat dieses Glänzende einen Beigeschmack. Neu ist die Zeit, wo plötzlich nur noch ein Teller mit Goldrand auf dem Frühstückstisch steht. Neu sind die Spaziergänge durch den Herbstwald, wo sie sich nicht mehr gegenseitig die bunten Blätter und Pilze zeigen, die sie entdeckt haben. Neu sind die Abende, an denen sie sich nicht mehr berichten von den spannenden Erlebnissen, die sie heute hatten. Neu ist auch, dass da keiner mehr sitzt, der verständnisvoll nickt, der so schön zuhört, mit mir spielt oder Fußballturniere organisiert. Alles muss neu gelernt werden, die Routinen, der Alltag, das Alleinsein. Neuanfang sollte etwas Schönes sein. Gerade fühlt es sich so an, als wäre es eine große Aufgabe, alles neu anfangen zu müssen. Das Vertraute, es ist noch da, aber irgendwie verborgen, wie im Herbstnebel vor dem Fenster. Man bekommt es nicht so richtig zu fassen… Es ist noch da, das Gefühl, das immer kam, wenn sie miteinander gelacht haben, wenn sie sich gegenseitig geneckt haben. Das Gefühl ist noch da, aber tief drinnen fühlt es sich so an, als hätte jemand den Gewürzstreuer mit der Traurigkeit etwas zu großzügig ausgegossen. 

Das Leben schmeckt versalzen von all den Tränen, die geweint werden mussten. Die Tränen vor dem Abschied, die Tränen während dessen und die Tränen nachdem man sich „Leb wohl!“ gesagt hat. Anfangs fühlt es sich so an, als wolle die Zeit nicht vergehen. Als wäre ein Tag so lang wie tausend Jahre. Der Himmel ist über dir eingestürzt, als das Neue über dich hereinbrach. Die Weite des Himmels ist bedeutungslos geworden für dich. Du siehst die Wolken ziehen und fragst dich nicht mehr, wohin sie gehen. Es ist Nacht geworden, jetzt, wo deine Sonne verglüht ist. Es fühlt sich an, als hörte die Erde auf zu sein und mit ihr alles, was auf ihr lebt. Du läufst mit diesem tauben Gefühl durch die Dunkelheit und irgendwann stolperst du. Über ein Foto, einen Satz, über die Hühner, die sie immer versorgt hat. Über die eine bestimmte Bank, über Colaflaschen von Haribo auf dem Ansitz, über Feuerzangbowle mit Wasser gestreckt.  Du stolperst, fällst hin, liegst mit dem Rücken auf dem Boden und entdeckst in der Dunkelheit schemenhafte Lichter am Himmel. Erinnerungen voller Liebe. Je länger du hinausschaust in die Nacht, desto mehr gewöhnen sich deine Augen daran, das kleine Leuchten wahrzunehmen und du siehst immer mehr Sterne funkeln in der Finsternis, bis du siehst, dass der Ganze Himmel voll ist mit Licht. Der Blick in den Himmel. Immer auch ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart zur gleichen Zeit.

Dann entdeckst du, du bist nicht allein in der Dunkelheit. Um dich herum siehst du andere, stolpern, weinen und staunen. Einer spricht dich an und ihr fangt an zu erzählen, von denen, die noch immer in euren Herzen wohnen, die noch immer ein Teil eures Lebens sind und auch immer bleiben werden. Ihr erzählt von denjenigen, ohne die ihr heute nicht die Person wärt, die ihr seid. Die euer Leben geprägt haben. Und ihr beginnt dabei zu strahlen über den Lebensmut, den er immer hatte, über die Demut, mit der er euch begegnet ist, ihr lacht, weil ihr euch daran erinnert, wie sie nach den Veranstaltungen morgens schon im Garten stand und mal eine Vogelscheuche aufgebaut hat oder wie er den jungen Falken großgezogen hat. Ihr hört von anderen, wie gerne ihre Lieben im Garten gestanden haben und Vorräte für den ganzen Winter eingeweckt haben. Ihr hört auch von dem, der Sicherheit gesucht hat und dachte sie im Alkohol zu finden. Erzählt euch von dem, der Wilhelm Busch auswendig rezitieren konnte. Von Tränen, Schmerzen und Gewalt. Von der Mutter, die Windsurfing liebte und das Reisen. Ihr hört vom Heckeschneiden und Kartenkloppen, vom Kegeln und vom Feiern. Ihr erzählt euch von den Fahrten auf dem Boot, was ihr da alles gesehen habt auf dem Meer und welche Länder ihr bereist habt. Da ist die Rede von dem Landwirt mit Leib und Seele, der Rosen geliebt hat und sich seine Obstbäume selbst gezogen hat, die Pflaumen, die Kirschen und den Wallnussbaum. Ihr staunt gemeinsam über die Trotzkraft, die eine in der Kunst gefunden hat, im Plotten und Singen. Bewundert die fleißige Landwirtin, die bei aller Arbeit nie ihr 10.00 Uhr Teeritual vergaß. Ihr freut euch über die 100 Jährige, die noch wenige Jahre vorher über die Mauer sprang, um mit den Nachbarn zu schnacken. Über den Vater, der auch in der Bullenhitze noch die Schaufel in der Hand hielt und den Partner, der das gesellige liebte, der sein Haus von der Pike an renoviert hat, angefangen mit dem Partyraum. Ihr sprecht von dem, der gerne forschte und schrieb und ihr, die zuhause alles zusammenhielt, die strickte, bis die Nadeln glühten und ihren Garten in ein Paradies verwandelte. Ihr erzählt von Opa und seinen geliebten Fichten, von den Stöcken, die immernoch zu hören sind. Vom Geschick mit dem Werkstoff Holz. Von der Frau, die ihren Garten zum Tag des offenen Gartens für alle öffnete, bei er es leichter zu sagen war, in welchem Verein sie nicht war, weil das schneller ging als aufzuzählen, wo sie überall mitgewirkt hat. Die so viel geliebt hat und von der, die in der Nachbarschaft eine Anlaufstelle für alle Kinder war für die großen und kleinen Sorgen oder einfach so, um am Mittagstisch mitzuessen. Neuanfang sollte etwas Schönes sein. Etwas Glänzendes. Aber es ist schwer das Schöne zu erkennen, wenn das Leben mit Trauer versalzen ist. Trauer muss mit Zeit gestreckt werden, damit das Leben wieder schmeckt, damit man die ganzen Nuancen der Liebe herausschmecken kann. Denn sie ist da, die Liebe, immer schon gewesen. Wo geht die Liebe hin, wenn jemand gestorben ist? Die Liebe bleibt. Sie sitzt mit auf der Wellenbank im Garten, eingemummelt in den selbstgestrickten Schal grüßt sie manchmal als Erinnerung mit der Anglermütze und organisiert noch schnell etwas. Da sitzt die Liebe bei euch, trinkt Glühwein und schmeckt nach Currywurstsoße und Gegrilltem. 

Neuanfang. Der Tod ist ein Neuanfang. Aber nicht von Null, denn es ist ja noch alles da und es bleibt alles da. All die Stunden, Tage, Jahre, die gemeinsamen Momente und Erinnerungen. All das ist da, durchwebt von Liebe, aber anders, durcheinander und deshalb neu. Es bleibt der salzige Geschmack der Tränen, aber auch die süßen Erinnerungen. Manche ist gegangen und es war Erlösung. Alt und lebenssatt. Mancher musste gehen, obwohl er nicht wollte. Ungerecht! Nicht nachvollziehbar.

Ich habe im vergangenen Jahr so oft auf dem Friedhof gestanden. Ich konnte es nur tun, weil da eine Hoffnung in mir ist. Eine Hoffnung auf einen Neuanfang. Einen echten Neuanfang, nach dem allen hier. Kein falscher Trost, keine Vertröstung. Sondern die tiefe Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, wie Gott sie uns versprochen hat. Meine Kollegin Annemarie Schmitt drückt es so aus: 

Ich glaube an eine Bleibe hinter dem Horizont

wohin kein Weh mich verfolgt

wo keine Sorge mich lähmt

wo keine Trauer mich drückt

Ich glaube an eine Bleibe für mich

unter einem anderen Himmel

befreit von Erdenschwere

auferstanden aus Asche

Ich glaube an Siege über den Tod

ich glaube, solange ich glauben kann

an etwas ganz Neues das noch kein Auge gesehen

kein Ohr erhorcht

keine Stimme besungen hat

Ich glaube über das Leben hinaus ans Leben

Amen.
Quelle: Tobias Patzwald
Versteckte Schönheit im Herbstgrau
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