Happy End für Paul

Fri, 19 Mar 2021 23:00:00 +0000 von Petra Rauchfleisch

© Petra Rauchfleisch
Mittwoch-Nachmittag. Es klingelt an der Haustür. Ach, denke ich, hat unsere Pfarrsekretärin ihren Schlüssel vergessen und öffne. Irrtum: vor der Tür steht ein Mann, setzt seinen Rucksack ab und begrüßt mich mit „Tach – ich bin auf der Durchreise und ich könnte mal ihre Hilfe gebrauchen.“
Durchreisende so nennen sich die Obdachlosen selbst, die schon seit vielen Jahren an meiner Pfarrhaustür geklingelt haben. Die meisten von ihnen kenne ich, sie kommen immer mal wieder vorbei. Dieser Mann jedoch ist mir unbekannt. Und so höre ich mir die Geschichte an, die er mir erzählt. Er habe einen eigenen Handwerksbetrieb gehabt. Eines Nachts sei die Werkstatt abgebrannt. Die Versicherung hätte nicht gezahlt und er habe Insolvenz anmelden müssen. Es wäre das schrecklichste Jahr seines Lebens gewesen. Seine Frau sei kurz darauf gestorben, sie war länger schon an Krebs erkrankt. Sein Sohn, erzählt er, wäre mit der Situation wohl nicht zurecht gekommen. Jedenfalls sei er eines Tages weggewesen. Bis heute hätte er nichts mehr von ihm gehört. Als die Bank dann den Kredit fürs Haus gekündigt hätte und der Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung durchgesetzt hätte – wär´s das gewesen. Seitdem lebte er auf der Straße. „Aber jetzt“, erzählt er, „habe ich Aussicht auf einen Job in Oldenburg, da will ich hin. Aber dazu brauche ich Fahrgeld für die Bahnkarte.“
Ich habe keine Ahnung ab seine Geschichte stimmt – skeptisch bin ich auf jeden Fall. So viele, die vor der Tür meines Pfarrhauses standen, haben schon so viele Geschichten, wahre und falsche erzählt. Dennoch gebe ich ihm das Geld. Er nimmt seinen Rucksack, bedankt sich und geht – immerhin in Richtung Bahnhof.
Ich bin immer noch skeptisch – was ich gehört habe klingt sehr nach einer sehr bekannten Geschichte – einer aus der Bibel – einer mit ganz vielen ähnlichen Hiobsbotschaften. Hiob,  genau -  er ist ein reicher und glücklicher Mann, so berichtet das Alte Testament, bis der Teufel mit Gott einen deal macht. Der Teufel will Hiob auf die Probe stellen, ob er Gott treu bleibt, auch wenn es ihm schlecht geht. In kurzer Zeit verliert Hiob alles, Menschen in seiner Familie sterben, er verliert sein Haus, sein Geld, schließlich wird er selbst krank. 
Und dennoch hält er fest an Gott und sagt : "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und als der Letzte wird er sich über dem Staub erheben. Und ich werde ihn sehen."
Ich gebe zu, ich weiß nicht, ob ich das könnte. Aber ich war auch noch nie in einer so ausweglosen Situation. Oder vielleicht doch – wie viel hat uns die Coronakrise abverlangt. Wie vielen Menschen hat sie großes Leid gebracht. Geschichten von denen in den Medien berichtet wir. Geschichten die nur im Stillen gelebt werden. 
Trägt uns unser Glaube? Woran halten wir uns? Worauf vertrauen wir? Das sind und bleiben immer ganz persönliche Fragen und ganz persönliche Antworten.
Hiobs Antwort kennen wir:  Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und als der Letzte wird er sich über dem Staub erheben. Und ich werde ihn sehen.
Und dann erzählt die Bibel, dass die Geschichte Hiobs ein Happy End hat. 
Hiob hat die Prüfung durch den Teufel bestanden. Und so wird er reich belohnt. „Gott ließ ihn wieder gesund werden und gab ihm zweimal so viel, wie er vorher besessen hatte.“ So erzählt es die Bibel.
Wenn das so einfach wäre – ich bin sicher, es wird Corona-Geschichten geben, welche mit Happy End und ohne. Ob wir das mit unserem Glauben zusammenbringen können. 
Ich möchte glauben, dass Gottes letztes Wort Gutes für uns will, dass er uns die Kraft schenkt auch in Krisen einen Weg zu finden. Dass er uns Menschen finden lässt, die helfen können, die uns in schweren Zeiten begleiten. 
Und ich glaube nicht, dass er uns Corona geschickt hat um die Welt zu prüfen, zu strafen oder was immer Menschen auch glauben mögen. Aber ich glaube, dass er uns die Kraft gibt auch diese Krise durchzustehen. 
 
Übrigens: ich habe einige Monate nach meiner Begegnung mit dem obdachlosen Mann einen Brief bekommen. Er bedankte sich für die Hilfe der Kirche und schrieb, dass er tatsächlich einen neuen Job und eine feste Unterkunft gefunden hätte. Es sei erst ein Anfang, er habe noch einen langen Weg vor sich, aber er sei optimistisch, dass er wieder festen Boden unter die Füße bekommen würde. Auch Dank der Menschen, die sich jetzt um ihn kümmerten. Und dann stand da zum Schluss: „Danke! Paul“
Ob es wirklich eine Geschichte mit Happy End geworden ist, kann ich nicht sagen. Ich habe danach nie wieder etwas von ihm gehört. Es gab keinen Absender und auch keinen Nachnamen. Leider!
Aber Mut gab es, und die Kraft es noch einmal zu versuchen. 
Mehr können auch wir nicht: vertrauen und mutig sein und nicht aufgeben – und drauf hoffen und daran glauben, dass Gott es trotz allem gut mit uns meint.
Einen gesegneten Sonntag und eine gut behütete Woche wünscht Ihnen und Euch
Pastorin Petra Rauchfleisch
Bestätigen

Bist du sicher?