1. Als liebenden Gärtner
Die Sonne brannte ihm im Nacken, die Luft hier oben wurde dünner, aber auch klarer. Auf dem Kopf thront der Strohhut. Eine Latzhose ziert ihn und grüne Crocs bedecken die sonst blanken Füße. Die Reben vorsichtig verstaut im Rucksack aus braunem Leder. Die Ballen umwickelt mit einem nassen Leinentuch. Gestützt auf seine Hacke, die ihm einen festen Tritt verleiht, lässt er seinen Blick. schweifen. Er atmet tief durch. Ein leichtes Plateau deutet sich an. Er nimmt den Rucksack ab, kramt ein Stofftaschentuch aus seiner Brusttasche und wischt sich den Schweiß von der Stirn. In der Ferne kann er Ziegen sehen, die selbstbewusst von Grat zu Grat springen, als ginge es nicht hunderte Meter steil bergab. Es mutet fast so an, als klebten sie an der steilen Felswand. „Die habe ich gut hinbekommen“, denkt er sich, während die Sonne ihn blinzeln lässt. Er kniet sich hin, nimmt eine Hand voll Erde und lässt sie durch die Finger rieseln. Guter, fester, fast schwarzer Boden fällt hinab. „Ja, hier!“ Hier ist ein guter Platz für seinen Weinberg. Er drückt sich an seiner Hacke wieder nach oben, nimmt sie in beide Hände, hebt sie über den Kopf und beginnt damit, sie immer und immer wieder vor sich in die Erde niedersausen zu lassen.
Zwischendurch blitz grünes Unkraut und Gestrüpp hervor. Er sammelt es auf, wirft es auf einen Haufen und pflanzt das Dornige als Hecke um seinen Acker. Hier und da liegen Steine im Weg. Er nimmt sie auf und trägt sie an den Rand. Sie sollen der Grundstein seiner Mauer werden. Er wird sie später mit Felsen ergänzen, die sich hier in der Sonne langsam aufwärmen.
Der Nachmittag ist bereits weit vorangeschritten, aber der gepflegte Acker lässt sich sehen. Die Hacke hat für heute ausgedient und ruht am Rand des Feldes.
Vorsichtig nimmt er eine Pflanze nach der anderen aus seinem Rucksack und entfernt liebevoll das feuchte Leinentuch vom Wurzelballen. Seine linke Hand gräbt eine Kuhle in die kalte Erde, seine Rechte pflanzt den Weinstock vorsichtig ein und mit beiden Händen drückt er rundherum die Erde fest. So geht es weiter. Pflanze um Pflanze findet ihren Platz auf dem Weinberg. Jede Einzelne behandelt er, wie eine Geliebte.
Als die Sonne schon hinter dem Gebirge verschwinden will, blickt ihm aus dem Rucksack nur noch Leere entgegen. Er stemmt die Hände in die Hüften und bestaunt stolz sein Tageswerk. Morgen wird er noch die Mauer fertig stellen und einen Wachturm errichten, damit seinem Weinberg gut geschützt ist. Er hat keine Zweifel. Das wird einmal ein guter Wein werden. Er würde mit viel Liebe schon dafür sorgen. Er schnippt mit den Fingern und langsam sammeln sich Wolken am Himmel. Erste Tropfen fallen sanft auf die frisch gesetzten Pflanzen.
2. Als enttäuschten Winzer
Ich stehe mitten in meinem Weinberg. Ein Jahr, nachdem ich ihn angelegt habe. Die Sonne scheint warm auf die grünen Blätter. Sie arbeiten in aller Stille. Ich bekomme es gar nicht mit, wie sie Kohlenstoff einatmen und Sauerstoff ausatmen. Sie wachsen; so langsam, dass ich es nicht sehen kann. Aber das ist nicht ihre eigentliche Aufgabe. Sie sind ja nicht gepflanzt, um schön auszusehen, oder um die Luft zu reinigen, sie sollen blutrote Trauben hervorbringen, aus denen ich Wein keltern kann, um mit meinen Freunden in der Abendsonne die Schöpfung und die Gemeinschaft feiern zu können. Ich habe sie angelegt. Ich habe sie hier hingepflanzt, in diesen fruchtbaren Boden, dieses sonnige Plätzchen. Ohne mich gäbe es hier keinen Weinberg, keinen Wein. Tag und Nacht habe ich geackert. Geschnitten, gehakt und die wilden Tiere in die Flucht geschlagen. Alles, alles habe ich getan, dass mein Weinberg die besten Chancen hat zu wachsen, dass er die besten und süßesten Trauben hervorbringen kann. Ich habe die bestmöglichen Voraussetzungen für Wachstum geschaffen, für eine fette und große Ernte, für Fülle im Übermaß. Aber keiner meiner handverlesenen Weinstöcke hat seine Aufgabe erfüllt. All die Arbeit umsonst. All die Hoffnung enttäuscht. All die Liebe verschwendet. Verdammte Pflanzen! Wie konnte ich so gutgläubig sein, mein Vertrauen in sie zu setzen. Ich bin so stinksauer, ich möchte am liebsten diese Mauer umtreten. Meiner Wut Luft machen! Und zack, ist es schon passiert. Jetzt liegst du da. Dem Wind und den wilden Tieren ausgeliefert. Sieh zu, wer sich in Zukunft um dich kümmert! Meine Geduld hast du genug strapaziert! Du wirst schon sehen, was du davon hast. Mich siehst du hier erstmal nicht mehr! Wenn du meinst, du kommst ohne mich klar und ohne meinen Schutz, dann probiere es gerne! Bitte schön, kannst du haben!
„aber der Weinberg brachte nur schlechte Beeren hervor. Jetzt urteilt selbst, ihr Einwohner von Jerusalem und ihr Leute von Juda! Wer ist im Recht – ich oder mein Weinberg? Habe ich irgendetwas vergessen? Was hätte ich für meinen Weinberg noch tun sollen? Ich konnte doch erwarten, dass er gute Trauben trägt. Warum hat er nur schlechte Beeren hervorgebracht?
Wer ist dieser Weinberg? Der Weinberg des Herrn Zebaot, das sind die Bewohner von Israel. Die Leute von Juda, sie sind sein Lieblingsgarten. Der Herr wartete auf Rechtsspruch, doch seht her, da war Rechtsbruch. Er wartete auf Gerechtigkeit, doch hört nur, wie der Rechtlose schreit.“ – Jesaja 5,2-7
3. Als König im Land der Dornen
Vorsichtig schreitet er barfuß über das Feld. Dessen einstige Pracht ist nur noch zu erahnen. Die Schutzmauer von den Tieren und dem Dornengestrüpp einfach ignoriert. Vereinzelt ragen die Spitzen einiger Rebstöcke aus dem hüfthohen Bewuchs. Es schmerzt ihn, seinen Lieblingsgarten so zu sehen. Er trägt ein langes weißes Gewand. Zerrissen an vielen Stellen. Schmutzig. An manchen Stellen drückt sich ein blutiger roter Striemen durch das Gewand nach außen. Hin und wieder pflückt er einige der verwilderten Trauben. Manche finden ihren Weg direkt in seinen Mund, andere sammelt er in der Tasche. Saure und süße Früchte sind dabei. Manchmal verzieht er das Gesicht, weil ihm die Säure alles zusammenzieht. Aber das hält ihn nicht davon ab, sich die nächste Traube in den Mund zu schieben und fröhlich zu lachen, wenn er eine Süße erwischt. Er kennt sich hier aus, weiß um die einstige Pracht; weiß um das Potential dieses Weinberges, gepflanzt in bester Lage. Er kennt die Namen jedes einzelnen Setzlings, erinnert sich genau an den steilen Aufstieg an diesem sonnigen Tag, mit einem Rucksack voller Hoffnung auf dem Rücken.
Nach einer Weile findet er einen Platz, der nicht vollkommen mit dornigem Gestrüpp zugewuchert ist. Er setzt sich und reißt sich dabei den Ärmel auf. Er atmet tief durch, sieht den Weinreben beim Wachsen zu, hört genau hin, was sie zu erzählen haben. Er hat Zeit mitgebracht. Spürt den Druck, der von den Dornen ausgeht und auf den Weinstöcken lastet. Fühlt die Schmerzen, aber auch die Erleichterung, dass wegen des Gestrüpps zumindest die Ziegen nicht näherkommen. Er hört sie sprechen, hört sie klagen, nickt hier und da verständnisvoll und sagt gerade so viel, dass das Gespräch am Laufen bleibt. Irgendwann haben die Setzlinge alles erzählt. Nichts hat sich verändert, außer ihren Herzen. Sie fühlen sich erleichtert. Er steht auf, richtet sich seine Dornenkrone und zieht weiter, er wird noch an vielen Stellen gebraucht. Was er da lässt ist Erleichterung und Hoffnung, wie frischer Dünger an den Wurzeln.
Es ist die, die aus dem brennenden Dornbusch redet. Es ist der, der die Dornenkrone trägt. König im Land der Dornen, der sich im zugewucherten Inneren bewegt und das verletzte Herz heilt; die Geistkraft, die Hoffnung schenkt.
Wie sieht es in deinem Herzen aus?
A) Dornen, B) Weingarten oder C) Beides?