Bist du auf dem richtigen Weg?
Die Hände leicht schwitzig sitzt du auf dem teuren Designerstuhl im Flur. Du wartest darauf, dass der personal Assistent dich gleich hineinruft. Der graue Anzug kneift etwas, du musstest ihn lange nicht tragen. Zum hundertsten Mal schaust du dir deine schwarzen Lederschuhe an und fragst dich, ob du hier wirklich richtig bist. „Termin zum Personalgespräch“ hat es in der Email nur geheißen. Jetzt stierst du auf diese blöde Büropalme und wartest darauf, dass es endlich los geht, das Gespräch mit deinem Vorgesetzten.
Sicherlich, du hattest um ein Gespräch gebeten, weil du tief in dir gespürt hast, dass es nicht einfach immer nur so weitergehen kann. Etwas muss sich ändern und das wirst du deinem Chef auch schon klar machen. Du bist gut in dem, was du machst. Das weißt du auch. Eigentlich der Beste in deiner ganzen Abteilung. Da muss es doch größere Aufgaben für dich geben, als Tag ein Tag aus das Gleiche. Du bist zu Höherem berufen und das wirst du der ganzen Welt zeigen. Einige Vorschläge zur Verbesserung hast du direkt dabei. Du kannst sie aus dem Effeff, weil du sie bis Nachts vor dem Spiegel geübt hast. Komm schon, du packst das. Da ruft dich der Sekretär auf: „Sie können jetzt reinkommen. Der Chef hat jetzt für Sie Zeit.“ Du stehst auf, atmest tief ein und wieder aus, streichst dein Sakko noch einmal glatt und gehst los. Ein Stoßgebet: „Gott, hilf mir!“ Ab heute wirst du die Welt verändern. Los geht’s!
Sie steht vor dem Krankenhaus. Die Maske auf dem Gesicht, den Autoschlüssel in Hand. Sie wiegt ihn unschlüssig hin und her. Noch könnte sie wieder zurückfahren, bisher hat keiner gemerkt, dass sie da ist… So tun, als hätte sie der Anruf nicht erreicht. Aber die Krankenpflegerin war recht deutlich auf ihrer Mailbox. „Mit Ihrer Mutter geht es zu Ende,“ hat sie gesagt „kommen Sie besser schnell.“ Da gab es noch so viel Ungesagtes zwischen ihr und ihrer Mutter. Sie hatte Angst davor. Schob es vor sich her, wie sie so Vieles vor sich herschob, wollte es partout nicht ansprechen. Es war wie eine Wand in ihrem Kopf, die ihre Beine blockierte und ihr den ersten Schritt versperrte. Aber sie wusste ganz genau, wenn ich es jetzt nicht anspreche, werde ich nie wieder die Gelegenheit dazu haben. Sie würde es sich ewig vorhalten, in den letzten Stunden nicht bei ihr gewesen zu sein, das wusste sie genau. Aber so sehr sie auch suchte. Sie fand in sich nicht die Kraft, die Schwelle zum Eingang zu übertreten. Sie blickt in den wolkenverhangenen Himmel und murmelt: „Gott, bitte hilf!“
Fünf Jahre gemeinsam im Kirchenvorstand. Wir haben mit mehr Personen angefangen, als heute noch dabei sind. Voller Zuversicht, dass wir etwas bewegen können und bei Gott, wir haben etwas bewegt. Jeder und jede einzelne hat einen Unterschied gemacht. Einige sind den ganzen Weg mit gegangen, andere nur ein Stück. Mit Begeisterung sind wir gestartet. Wollten, dass sich Jugendliche wieder wohl fühlen bei uns in der Gemeinde, sich einbringen können, gründeten eine Jugendgruppe, begleiteten sie eine weite Strecke und ließen sie dann selbst laufen. Heute bringen sie neuen Jugendlichen bei, was es heißt, eine Gruppe zu leiten.
Wir hatten die verrückte Idee, dass die Kirche nicht nur Sonntags zugänglich sein sollte und haben sie einfach geöffnet und offen gelassen. Hunderte Menschen haben das Angebot der Offenen Kirche seither genutzt. Haben Konzerte und Ausstellungen organisiert, Empfänge bereitet und Konfirmanden gesegnet. Haben einen roten Teppich mitten in die Wierau gelegt und 14 Kinder an einem Tag getauft. Mussten Entscheidungen treffen, die uns nicht leicht fielen, haben völlig unsexy die Bausubstanz erhalten, damit viele Generationen noch Freude an unserer Kirche haben, mit unglaublich viel Zeit und noch mehr Einsatz. Haben die Turmuhren mehr als einmal repariert und sogar einmal den Klöppel aus der großen Glocke aus dem Turm zwei Stockwerke tiefer gefischt, nachdem er sich selbstständig gemacht hat. Haben Menschen verabschiedet, die lange treu in unserer Kirche gedient haben und neue Willkommen geheißen. Kinder haben ihre Eltern und noch viel mehr Menschen mit ihren musikalischen Darbietungen beglückt. Wir haben mit euch gefeiert und dafür häufig hinter dem Tresen, dem Grill oder dem Herd gestanden. Wir haben geordnet, geplant, durchgeführt, überworfen und neugeplant und das bei immer knapper werdenden finanziellen Ressourcen. Wir haben geplant, wie wir mit unseren Nachbargemeinden besser zusammenarbeiten können und einen Austausch geschaffen, der noch vor ein paar Jahren undenkbar war. Haben uns offen an die Seite der ausgestoßenen in unserer Gesellschaft gestellt und uns klar dazu bekannt, dass wir eine offene Gemeinde sind, in der alle, auch Queere Menschen willkommen sind. Haben den Hass und den Gegenwind dazu ausgehalten und halten ihn noch aus. Und zwischendurch Amokläufe, Rechter Terror, Flugzeugabstürze, Flutkatastrophen, Klimakrise, Missbrauchsskandale, drei Jahre eine nicht gekannte Seuche und plötzlich wieder Krieg in Europa, Energiekriese und Simultaneum. Kritik von allen Seiten. Den Konservativen zu liberal, den liberalen zu konservativ. Den einen zu weltlich, den anderen weltfremd. Und ich bin ganz ehrlich, ich habe mir mehr als einmal die Frage gestellt: „Bist du auf dem richtigen Weg?“ „Sind wir auf dem richtigen Weg?“. Das werden einmal spätere Generationen beurteilen. Wir hatten schwere Wege vor uns, schwere Entscheidungen zu treffen. Waren sie alle richtig? Wahrscheinlich nicht. Hätten wir heute manches anders gemacht? Vielleicht. Aber nun sind wir an dem Punkt, an dem wir sind, weil er hat uns bis hierher geführt hat, zurück in unsere Kirche. Was die Zukunft für uns bereit hält? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass einer immer an unserer Seite ist. Der, der darauf achtet, dass die Begeisterung nicht stirbt. Der Kraft gibt, durchzuhalten, wenn die Selbstzweifel in den Krisen hochkommen. Einer, der weiß, was es heißt, in schwierige Situationen hineinzugaloppieren. Situationen deren Ende im besten Fall unbestimmt und im schlimmsten Fall düster sein können. Das ist nicht irgendwer. Das ist Jesus Christus. Er weiß, wie ich mich fühle, wenn eine Veränderung ansteht, wenn ich durch diese Tür gehe und er geht mit. Er reitet auf einem Eselchen. Das kann schwer tragen. Es trägt den König der Welt. Mich trägt der Glaube, die Hoffnung, die Liebe. Und oft genug brauche auch ich seine Stärke, weil meine nicht ausreicht und dann mache ich es wie die Menschen am Tor beim Einzug in Jerusalem. Ich rufe „Hosianna!“, was soviel heißt, wie „Gott hilf mir!“.
Hosianna! Gelobt sei der da komm im Namen des Herrn, der König von Israel!