Es ist Juni - ein wunderbar sonniger Tag. Im Schatten der hohen Mauern sind es fast 30 Grad. Die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt hallen wider vom Lärm der Stimmen. Viele Menschen sind unterwegs an diesem frühen Nachmittag. In den schmalen Türen der Basare stehen die Verkäufer – erwartungsvoll. Einige preisen ihre Waren an: bunte Stoffe und Tücher, Gewürze und Öle. Große Körbe mit verführerisch aussehenden Feigen, Orangen, Datteln. Kaffeeduft hängt in der Luft. An einer Ecke wird Brot gebacken.
Der holprig gepflasterte Weg führt Stadt aufwärts. Auf den Treppenstufen sitzen Kinder und Jugendliche mit dem Handy am Ohr. Wir schreiben das Jahr 2018. Immer mehr Menschen drängen sich durch die Basargassen, Fremde und Einheimische, verschiedenste Sprachen und Nationalitäten. Im fröhlichen Stimmengewirr versteht man sich oft selbst nicht.
Eine unserer Mitreisenden bleibt plötzlich stehen. Sie blickt auf ein Schild an der nächsten Hausecke, ist erstaunt, schüttelt irritiert mit dem Kopf, mag kaum glauben, was auf dem Schild zu lesen ist. „Via dolorosa“ - steht da. Wir sind auf dem Weg, auf dem Jesus ans Kreuz gehen musste. Jenem Weg, der auf dem Berg Golgatha vor den Toren der Stadt endet, im Tod am Kreuz.
Ein Weg, der 2000 Jahre später, mitten durch die quirlige Jerusalemer Altstadt führt, die zum arabischen Viertel gehört. So hatten sich das die meisten aus unserer Reisegruppe nicht vorgestellt. Sie hatten wohl andere Bilder vor Augen: ein stiller Weg, dunkle Wolken am Himmel, trauernde Menschen am Straßenrand.
Wie könnte es damals vor 2000 Jahren gewesen sein. Nur Lukas erzählt in seinem Evangelium von den Menschen, die Jesus auf dem Kreuzweg gefolgt sind. Er schreibt: Eine große Volksmenge folgte Jesus, darunter auch viele Frauen, die weinten.
Wie mag es damals also wohl gewesen sein. Die Hinrichtung Jesus ist öffentlich. Sein Tod geschieht nicht hinter abgeschlossenen Mauern eines Gefängnisses, sondern vor aller Augen. Auch sein Weg ans Kreuz ist öffentlich, führt durch die Straßen der Stadt, hinaus vor die Tore nach Golgatha. Was werden die Menschen gedacht haben, die diesem Kreuzzug begegnet sind. Wussten sie, wer der Verurteilte war? Glaubten sie, dass er der Sohn Gottes war ? Oder sahen sie in ihm einen falschen, selbst ernannten Propheten. Standen auch die Pharisäer mit am Wegesrand, die ihn als Gotteslästerer verurteilten? Waren die Menschen erschrocken oder gleichgültig? Waren einige extra gekommen, um neugierig dem Schauspiel des Todes zuzusehen. Oder waren sie rein zufällig da, so wie Simon von Kyrene. Ging der Weg auch damals schon vorbei an Marktständen und Tischen der Händler?
Ganz gleich, was die Menschen damals bewegte, eines hat sie wohl miteinander verbunden: Mitten hinein in ihren Alltag, ihre Geschäftigkeit, ihre Arbeit bricht der Tod. Der Tod unterbricht die Normalität, fordert Aufmerksamkeit. Für einem Moment tritt Stille ein, es ist als ob alle einen Augenblick lang den Atem anhalten.
Auch an diesem Karfreitag halten wir inne. Mitten in der Aufbruchstimmung des beginnenden Frühlings. Mitten in der Freude über die zu blühen beginnenden Blumen, die bunten und leuchtenden Narzissen im Garten. Mitten hinein bricht die Erinnerung an den Tod Jesu. Der Tod ist verstörend, wir wollen ihn nicht in unserem Leben, wollen ihn lieber ausblenden. Manchmal können wir ihn nicht mehr ertragen, in den Bildern des eigenen Lebens, in den verstörenden Fernsehnachrichten über Bilder von Menschen, die an Corona verstorben sind.
Auch Gott will den Tod nicht, diesen Tod nicht, keinen Tod. Deshalb geht der Weg Jesu ans Kreuz. Deshalb stirbt Jesus. Damit der Tod ein für alle Mal seine Macht verliert, damit wir keine Angst mehr vor ihm haben müssen. Keiner von uns. Deshalb sehen wir das Kreuz Jesus auch heute schon im Licht des kommenden Ostermorgens. Erst von daher wird seine Bedeutung klar, gleichsam ins Licht gerückt. So wird der Weg Jesu ans Kreuz gleichzeitig zum Weg ins Leben. Damals in Jerusalem und anderswo.
Es wünscht Ihnen und Euch eine gesegnete Zeit
Ihre
Pastorin Petra Rauchfleisch
Es wünscht Ihnen und Euch eine gesegnete Zeit
Ihre
Pastorin Petra Rauchfleisch