Ich schaue auf meinen rechten Daumen. Ich sehe blaue Tintenflecken vom Arbeiten mit schlechten Kugelschreibern. Eine Narbe zieht sich von oben bis unten durch meinen Nagel. Er ist nie wieder richtig zusammengewachsen. Dafür bleibe ich jetzt häufig mit einer Ecke an meiner Kleidung hängen und fluche, wie ein Rohrspatz, weil es so höllisch weh tut, wenn er einreißt. Eine leichtsinnige Dummheit hat dafür gesorgt, dass ich mich immer wieder daran erinnern darf. Ich knicke sein oberstes Glied um 90 Grad nach links. Er gehorcht. Ich stelle ihn wieder auf. Auch das macht er brav. Knicken, … aufrichten,… Knicken, … aufrichten,… gesteuert über ein paar Sehnen, die sich spannen und entspannen. Faszinierend. Ich frage mich, ob mein Finger wohl einen eigenen Willen haben könnte. Ob er etwas machen könnte, ohne dass ich ihm das „befehle“? … Knicken, … aufrichten,… Nein, ich glaube nicht… Knicken,… aufrichten… Es reicht ein Gedanke und der Finger bewegt sich…. Knicken… aufrichten…
Meine Beine sind da schon etwas eigensinniger. Die hibbeln manchmal rum, ohne dass ich das bemerke. Aber wenn ich es bemerke, dann reicht auch hier ein Gedanke und sie stehen still. Knicken, … aufrichten,…
Schlimmer ist nur mein Kopf. Gedanken rasen von hier nach dort. Tauchen auf, verschwinden schnell wieder,… „Wo war ich?“ … To-Dos schwirren vorbei mit einem knallroten Postit, auf dem steht: „Unbedingt dran danken!“. Listen mit Unerledigtem ploppen auf, gemeinsam mit einem schlechten Gefühl. Dem Gefühl versagt zu haben, meiner Aufgabe nicht gerecht geworden zu sein, meinen Mitmenschen nicht gerecht geworden zu sein. Nicht genug geliebt, nicht genug vergeben, nicht genug getan, nicht genug fokussiert. Nicht das Richtige getan, wertvolle Zeit mit unnützem Zeug vertrödelt. Schlechtes Gewissen. Aufrichten … Knicken… Ein anderer Gedanke ploppt auf, ein Bibelvers: „Alles hat Gott Jesus zu Füßen gelegt und ihn zum Haupt über die ganze Gemeinde gemacht. Sie ist sein Leib.“ (Epheser 1,22) Moment… wenn Jesus der Kopf ist, und wir als Gemeinde der Leib sind, bedeutet das doch, dass ich das gar nicht alles falsch mache, oder? Dass ich gar nicht alles falsch machen kann! Wenn ich ein Daumen am Körper Gottes bin, dann dient das, was ich tue irgendwie Gott. Er bestimmt über alles und meine Selbstvorwürfe sind, genauso haltlos, wie sie hartnäckig sind. Und irgendwie richtet mich dieser Gedanke immer wieder auf, wenn ich geknickt bin. Jesus ist in den Himmel gefahren, um mich zu führen. Ich bin ein Teil seines Körpers. Ein Himmelfahrtswunder. Ich schaue immer noch gebannt auf meinen Daumen: Knicken… aufrichten! Danke, Gott, dafür gibt’s einen Daumen hoch!