Liebe Finsternis,
ja, ich spreche heute direkt zu dir. Du bist immer da – manchmal leise, manchmal laut, aber nie ganz weg. Du schleichst dich in unsere Gedanken, legst dich wie ein Schatten über unser Leben, flüsterst uns Dinge zu, die wir nicht hören wollen: „Du bist allein. Es ist alles sinnlos. Du wirst scheitern.“ Du bist da in der Einsamkeit, in der Angst, im Streit. Du bist da im Wahlkampfgetöse der Demokratiefeinde, in den Konflikten, die Menschen voneinander trennen.
Du warst schon immer da. Damals, als dieses Kind geboren wurde, in einer Krippe, mitten in der Dunkelheit der Nacht. Vielleicht hast du gedacht, das wäre deine Stunde. Vielleicht hast du gelacht, als die ersten Schreie dieses Kindes die Stille durchbrachen. „Was soll ein Baby schon gegen mich ausrichten?“, dachtest du.
Aber, liebes Dunkel, du hast dich geirrt.
1. Du hast nicht das letzte Wort
Du warst da, als die Welt noch nicht da war. Als Gottes Geist über den Wassern schwebte. Du warst da, kalt und berechnend. Leben hatte keine Chance bei dir. Du dachtest, du hättest gewonnen, dir gehörte das ganze Universum. Aber ein Wort hat dich zurückgedrängt. וַיֹּאמֶר אֱלֹהִים, יְהִי אוֹר; וַיְהִי-אוֹר wajomer elohim jehi or wajehi or: Gott sprach es werde Licht und es ward Licht. Und mit dem Licht kam das Leben. Aber du bist geblieben. Deiner absoluten Macht beraubt, aber noch immer da. lauernd in den Schatten, bereit, Zweifel zu säen und Zwietracht zu streuen. Du warst dort, wo Menschen den Weg verloren, wo Hoffnung zu Wut wurde und Liebe zu Hass. Ja, das warst du. Doch dann kam ein Licht, ein Licht, das nicht blendet. Nein, ein Licht, nicht grell, sondern sanft, still und ruhig, wie ein Lagerfeuer, um das sich Hirten sammeln. Ein Licht, das wärmt und die wilden Tiere auf Abstand hält, die in der Finsternis lauern. Das all unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, dem man stundenlang zusehen kann. Deren Flammen sich nach dem verborgenen Rhythmus der Liebe bewegen. Ein Licht kam in die Welt – kaum zu erkennen, man musste schon genau hinsehen, denn es war versteckt. Versteckt in einer Krippe, in einem Stall in Bethlehem.
Dieses Licht hat dich gesehen, Dunkel. Es hat deine Tricks durchschaut, deine Macht entlarvt. Es war stärker als du. Es hat dir widerstanden, nicht mit Gewalt, sondern mit Liebe. „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffen.“ Diese Worte stehen in der Bibel, und sie gelten damals wie heute. Sie gelten vom ersten Moment, als Gott das Universum in die Existenz rief, bis zu ihrem Ende.
Du hast das nicht verstanden, Dunkel. Du bist stolz und laut, doch dieses Licht, dieses eine kleine Licht, hat dich für immer zum Schweigen gebracht.
2. Du scheinst mächtig, aber du bist schwach
Ja, Dunkel, du bist überall. Du bist in den Konflikten dieser Welt, in der Verzweiflung der Menschen, in den Sorgen um die Zukunft. Du bist da, wenn alles ausweglos erscheint. Oft genug bist du der Grund für all das Schlimme, durch deine Einflüsterungen.
Aber hier ist die Wahrheit: Du täuschst dich. Du bist nicht etwas, du bist der Mangel an etwas. Du bist das Fehlen von etwas. Leere. Du bist nur dort, wo das Licht noch nicht scheint, wo die Liebe noch nicht hingekommen ist. Dunkelheit kann immer gefüllt werden. Du scheinst so mächtig, manchmal sogar übermächtig, aber du bist schwach. Denn ein einziges Licht reicht, um dich zu vertreiben.
Dieses Licht, das vor über 2000 Jahren in einer Krippe leuchtete, ist heute heller denn je. Es ist in den Herzen derer, die Hoffnung haben. Es ist in den Händen, die einander halten. Es ist in den Stimmen, die von Frieden sprechen. Es ist in der Liebe, die heilt.
Und gegen diese Liebe, Dunkel, bist du machtlos.
3. Du wirst nicht gewinnen
Ich weiß, du gibst nicht auf. Du flüsterst weiter, du versuchst uns zu überzeugen: „Ich bin stärker. Ich werde siegen.“ Und du bist wirklich gut darin! Durch die Nachrichten aus aller Welt schleichst du dich in die kleinsten Risse unserer Hoffnung. Aber die Wahrheit ist: Du hast längst verloren.
Das Licht ist gekommen, und du kannst nichts dagegen tun. Es ist nicht laut, es zwingt niemanden, aber es bleibt. Es leuchtet in dir, mitten in deiner Dunkelheit, und zeigt, dass du keine Macht hast, Finsternis. Nicht über das Leben, nicht über mich oder irgendjemanden, der an das Kind in der Krippe glaubt.
Aber, Finsternis, dieser Brief, diese Rede, ist eigentlich gar nicht für dich. Sie ist für uns. Für alle, die manchmal an dich glauben, die sich von dir einschüchtern lassen. Für alle, die in Momenten der Verzweiflung vergessen, dass sie nicht allein sind.
Ich sage uns allen: Das Licht ist da. Es scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht ergriffen. Nicht damals, nicht heute und niemals.
Liebes Dunkel, deine Zeit ist begrenzt. Das Licht ist die Ewigkeit. Es wird bleiben, lange nachdem du verschwunden bist.
Leb wohl, Dunkelheit. Dein Ende ist längst geschrieben.
Liebe Geschwister,
wenn ihr heute nach Hause geht, denkt an dieses Licht. Vielleicht scheint es dir klein zu sein, vielleicht zweifelst du daran, ob es wirklich stark genug ist. Aber erinnere dich: Es reicht ein kleines Licht, um die größte Dunkelheit zu vertreiben. Dieses Licht ist in dir, in mir, in uns allen. Und es ist stärker, als wir oft glauben.
Das ist die Frohe Botschaft. Das ist Weihnachten.
Amen.
- Tobias Patzwald