In der Finsternis kann man sich gut verstecken
Ich bin sechs Jahre alt und sitze im Finstern. Die Knie angezogen bis zur Nase, mit meinen Armen ziehe ich meine Beine fest an die Brust. Ich mache mich möglichst klein, während ich meinem Atem zuhöre. Er ist so laut, ich gehe fest davon aus, dass ihn auch die anderen hören. In meinem Bauch Adrenalin. Aber nicht das schlechte. Ich bin fröhlich, aufgeregt, voller Erwartung. Prall gefüllt, wie ein Luftballon, der bald vor Freude platzt. Ich sitze im Finstern und höre draußen Schritte. Mühsam unterdrücke ich ein Kichern. Ich höre, wie sie flüstern und beratschlagen, wo sie als nächstes suchen sollen. Ich höre sie umhersuchen und bin mir fast sicher, sie finden mich niemals! Ein bisschen stolz bin ich, schließlich suchen sie im Hellen und können alles sehen. Trotzdem finden sie mich nicht, der ich in der Dunkelheit hocke, denn mein Versteck ist das Beste!
Gerade als sie aufgeben wollen, schiebe ich die Kleider und Anzüge meiner Eltern beiseite, stoße die Schranktür von innen auf und rufe so laut, dass sie sich ein bisschen erschrecken: „Hier bin ich!“ und fange tierisch an zu Lachen.
In der Finsternis kann man sich gut verbergen. Es macht Spaß, verstecken zu spielen. Ja, sogar heute noch. – Leider sind die Bedingungen heute etwas ungünstiger; erstens, weil ich nicht mehr so gut in den Schrank passe und zweitens, weil unser Hund immer genau weiß, wo er mich finden kann.
Selbst kleine Babys haben schon Spaß daran, wenn sich Mama oder Papa die Hände vors Gesicht halten und rufen: „Wo ist die Mama?“ und die meisten Säuglinge fangen an zu glucksen, bei den erlösenden Worten: „Da ist die Mama!“
Sich verstecken macht Spaß. Es hat etwas Spielerisches, aber nur dann, wenn ich weiß: Es geht gleich wieder ins Licht, wo das Leben tobt und ich gesucht werde und mich finden lassen kann.
Licht im Dunkeln
Als Kind hatte ich eine Pumuckl Nachtlampe. Vielleicht kennt ihr diese Stecker, an denen fest eine Lampe montiert ist. Hinten orangenes Plastik und auf der milchig weißen Vorderseite prangte ein kleines Bildchen vom Pumuckl. Es war nicht wirklich so, dass ich im Dunkeln Angst hatte. Jedenfalls, soweit ich mich erinnere, aber es war doch ein beruhigendes Gefühl, dass da ein kleines Licht leuchtet die ganze Nacht. Falls ich mal aufwachte und aufs Klo musste, oder schlecht träumte, fiel es mir leichter, mich zu orientieren. Die Schatten waren nicht so furchteinflößend. Ich konnte erkennen, dass der Schrank wirklich ein Schrank ist und der dunkel Umriss in der Ecke lediglich ein Haufen Kuscheltiere.
Oft haben wir tagsüber mit der Pumuckl Lampe gespielt und dann war sie abends nicht wieder auffindbar. Da konnten wir noch so lange suchen. Aber das war gar nicht schlimm, denn es gab einen Plan B, der war sogar noch etwas besser. Für mich jedenfalls. Dann musste Mama nach dem Gutenachtlied die Tür einen Spalt breit auflassen, so dass noch etwas Licht in vom Flur in den Raum fiel. Sie schloss die Tür im Zeitlupentempo und wir durften dann immer „Stop“ sagen und bestimmen, wie groß der Spalt heute sein musste, damit wir zwar schlafen können, aber auch noch genug Licht da ist.
Heute wünschte ich manchmal, dass das noch immer ginge. Das ich selbst bestimmen kann, wie viel Licht in meine Finsternis scheint, damit ich mich nicht fürchten brauche. Dass ich selbst sagen kann: „Heute brauche ich einen 20 cm großen Blick auf die Hoffnung.“ Auf das Licht, dass die wahre Natur der Dinge in meinem Leben enthüllt. Dass Schreckgespenster entlarvt und mir zeigt, was sie wirklich sind: nichts als Schatten und Gedanken, die mir nichts anhaben können.
Es gab sogar Zeiten, da hat selbst das Licht im Flur nicht gereicht. Dann kam Mama oder Papa herein und brachten ein anderes Licht mit. Eine Ruhe, eine Wärme, die alle Angst vertrieb. Sie brachten Liebe und Verständnis mit. Das Licht, dass alle Finsternis vertrieb.
Licht zum Leben
Ich bin eigentlich ein Nachtmensch. Ich schätze die Nacht sehr. Es ist ruhig, entspannend. Ich kann ohne schlechtes Gewissen lesen, verschwende kaum einen Gedanken ans Arbeiten. In der Nacht kann ich feiern mit anderen oder spielen. Manchmal bleibe ich so lange wach, dass ich das Glück habe, das Ende der Nacht erleben zu dürfen. Dann sehe ich, wie die Finsternis sich langsam zurückzieht. Zurück unter die Bäume, in die Hecken, in die finsteren kleinen Ecken des Gartens. Ich höre, wie sich das Leben langsam wieder regt. Wie die ersten Vögel anfangen zu zwitschern und es immer mehr werden, bis sie sich zu einem chaotischen Chor vereinen. Wie die Sonne die Lebensgeister aus den Blumen kitzelt. Ich nehme wahr, wie es heller wird, lange bevor die Sonne tatsächlich über den Horizont gekrochen ist. Nicht plötzlich, wie wenn einer das Licht anknipst, oder die Tür zum hell erleuchteten Flur öffnet. Sondern fließend, so als ob man ein Glas voll schmutzigem Wasser nimmt und es unter den laufenden Hahn hält. Das klare Wasser vermischt sich mit dem schmutzigen und Stück für Stück spült es das Dunkle heraus, bis in dem Glas nur noch klares Wasser ist. So stelle ich mir Gottes Liebe vor, sein Licht, das uns schleichend, Stück für Stück heller macht und die Dunkelheit vertreibt. Aber dafür musst du dich dem Wasserhahn aussetzen, dem Licht, der Wahrheit, der Gnade und Güte und zulassen, dass sie dich verändern.
Du kennst doch bestimmt auch einen Menschen, der durch seine Liebe, seine Fröhlichkeit, den Raum direkt heller macht, wenn er ihn betritt. Im ersten Moment spürst du: Hier ist Wärme, hier ist Licht, hier ist Liebe. Und ich jedenfalls gehe aus solchen Begegnungen immer als ein anderer heraus, fühle mich selbst leichter, lebendiger.
Und gleichzeitig gibt es Menschen, die machen es einem schwer, zu leuchten. In ihnen spürst du Dunkelheit. Da ist Wut, manchmal Angst, oft Enttäuschung. Sie verfinstern nicht nur deine Stimmung, sondern können auch eine ganze Gemeinschaft in die Finsternis treiben, so dass keiner mehr den anderen sieht. Menschen, die die Tür zum hell erleuchteten Flur zuknallen und dich ohne Hoffnung und Liebe zurücklassen. Sie sorgen dafür, dass jeder nur noch seinen eigenen Atem hört und gleichzeitig vergisst, dass es da draußen jemanden gibt, der mich sucht. Es gibt diese Dunkelheit von außen oder von innen, sie ist real und auf Dauer schadet sie uns.
Deshalb erinnere ich euch: Ihr gehört nicht mehr zur Finsternis. Jetzt seid ihr Licht, denn ihr gehört zu Gott und durch das Licht in euch habt ihr die Möglichkeit, die Welt zu einer besseren zu machen. Lasst es leuchten, öffnet Hoffnungstüren durch eure Liebe. Fangt an bei euren Kinder und Patenkindern und haltet nicht damit hinter den Berg, wie sehr ihr für sie da seid und sie liebt. Sucht die, die sich verstecken, bis ihr alle vor Glück prusten müsst, wenn ihr euch gefunden habt und genießt den vielstimmigen Chor der Liebe, wenn die Sonne aufgeht. Dann fließen Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit ganz von alleine aus euch in diese Welt. Ihr Kinder des Lichts, seid so viel mehr als eine kleine Pumuckl-Lampe. Ihr seid Kinder Gottes.
Amen.
Pastor Tobias Patzwald