Im Evangelium des Johannes wird im Kapitel 12 in den Versen 20-26 die folgende Begebenheit berichtet:
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen:
„Herr, wir wollen Jesus sehen.“ Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: „Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“
„Herr, wir wollen Jesus sehen.“
Das hätte ich mir auch gewünscht, wäre ich mit den griechischen Pilgern in Jerusalem gewesen. Wir wollen Jesus sehen. Verständlich! Jesus war der Superstar in Jerusalem. Kranke hatte er geheilt, Brot konnte er vermehren, einen Toten hatte er wieder lebendig gemacht. Das hatte sich herumgesprochen. Zum Passahfest würde er in Jerusalem sein. Sie wollen ihn live erleben. Wollen sich selbst ein Bild machen, was dran ist an diesem Mann.
Ein verständlicher Wunsch. Ein Wunsch, den Menschen sich auch heute noch gern erfüllen möchten. Wie hat dieser Jesus ausgesehen, was hat er angehabt, was hat er gern gegessen, was hat er so den ganzen Tag gemacht, wenn er gerade mal nicht heilte oder predigte. Wie war das damals? Hatte er nun eine Freundin oder nicht. Und was ist eigentlich mit seinen Geschwistern … Endlose Fragen.
Sie haben Menschen seit langem beschäftigt auch in unseren Tagen. Jedes Jahr zu Ostern und dann wieder zu Weihnachten laufen im Fernsehen Filme über Jesus. Spielfilme, Dokumentationen, die sich mit der Frage beschäftigen: wer war dieser Jesus. War er wirklich Gottes Sohn? Wie kommen wir ihm nahe?
Israel, Jerusalem sind Besuchermagnete, Tausende reisen jedes Jahr dort hin – das war vor Corona so und wird sicher auch nach Corona wieder so sein. Kann man diesem Jesus nahe kommen in den Gassen Jerusalems? Seinen Geist spüren, ihn verstehen. Auf denselben Wegen gehen wie er? Zu Ostern in Jerusalem?
Das alles ist historisch sicher interessant und für Wissenschaftler noch immer ein spannendes Forschungsgebiet. Aber die Frage: wer war dieser Jesus, wird dadurch nicht beantwortet.
Das mussten auch die Griechen damals erfahren. Jesus weist ihre Bitte „wir wollen Jesus sehen“ nicht nur einfach ab. Er ignoriert sie einfach, nimmt sie scheinbar gar nicht zur Kenntnis. Er entzieht sich.
Statt dessen sagt er zu seinen Freunden: Wahrlich ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Haben sich die Jünger irritiert angesehen? Ein großes Fragezeichen in den Augen? Was soll denn der Satz jetzt? Was hat das mit der Bitte der Griechen zu tun? Mal wieder so eine typisch unverständliche Reaktion von Jesus?!
Wahrscheinlich hat es eine Weile gedauert bis es ihnen dämmerte: Jesus redet mal wieder in einem Gleichnis. Er spricht von seinem Tod und seinem Sterben. Mal wieder.
Und er legt sein Wort, dieses Gleichnis selbst aus: Sein Weg ist der des Weizenkorns. Das Bild leuchtet ein: Ein Korn, das im Beutel des Sämanns zurückbleibt, kann keine Frucht bringen. Doch in die dunkle Erde gelegt, indem es sich auflöst, entwickelt es neue Kraft.
Sein Weg ist der Weg zum Kreuz und in den Tod. Jesus redet von diesem Tod in einer unglaublichen Weise: Die tiefste Niederlage, das Entsetzlichste, was einem Menschen angetan werden kann, wird eine Stunde des größten Triumphes, die Sternstunde. Die finsterste Stunde – von Gott her gesehen ist es die Sternstunde.
Eine Sternstunde des Lebens.
Die Sternstunde der Menschheit, sagt das Evangelium, ist die Stunde, da Jesus am Kreuz hängt. Dort hat Gott Ja zu den Menschen gesagt. Er bekennt sich zu diesem Menschen, der von allen verlassen und verraten wurde. Er bekennt sich zu einem, der gefoltert und ermordet wurde. Er bekennt sich zu dem, der gering und schwach war.
Und in diesem einen Menschen bekennt sich Gott zu uns allen. Am tiefsten Punkt der Menschengeschichte, in dieser finstersten Stunde, im Sterben seines eigenen Sohnes, sagt Gott sein Ja zu den Menschen, sein Ja zum Leben.
Das ist Gottes Weg, die Welt zu retten. Er rettet sie nicht mit klugen Ideen von Fortschritt und Entwicklung, nicht durch gewaltige Revolutionen, nicht mit politischen Parolen.
Das Weizenkorn Jesus, das stirbt, bringt der Welt das Leben. Am dritten Tage nach seinem Tod, als die Sonne des Ostermorgens aufscheint, geht den Jüngern auf, dass sein Weg ins Leben führt. Der, der am Kreuz gestorben ist, wird zur Hoffnung für viele.
Das ist die Antwort auf die Frage: wer ist Jesus: er ist die Hoffnung und das Leben für die Welt. Und das ist nichts, was wir aus dem historischen Jesus lernen. Nicht aus seinem Aussehen, seiner Kleidung, seinem Alltag. Wir werden werden ihn nicht finden. Nicht in den Straßen Israels und nicht auf den Wegen durch die Altstadt Jerusalems. Wir werden ihn nicht verstehen. Nicht durch Fernsehfilme oder Dokumentationen. Er entzieht sich - auch uns. So wie den Griechen.
Wir können nur glauben, dass dieser Jesus gestorben und auferstanden ist, beweisen lässt sich das durch keinen noch so genialen Forscher. Wir können nur glauben, dass dieser Jesus auch für uns gestorben und auferstanden ist – damit wir leben dürfen. Und Gott bitten, dass er uns diesen Glauben schenkt – immer wieder neu. Damit Ostern wird in unserem Leben.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und bleiben Sie in der kommenden Woche gut behütet!
Ihre
Pastorin Petra Rauchfleisch