Ich möchte euch von Karl-Heinz erzählen und von seinem Talent. Karl-Heinz war vor knapp zwei Wochen bei uns in der Kirche. Hatte sich angekündigt, vor Monaten schon, aber irgendwie hatte das keiner mehr so richtig auf der Kette. Sabine, unsere Küsterin, rief mit etwas Panik an. „Ein Herr Weingärtner hat angerufen, er möchte gerne sein Gerüst bei uns in der Kirche aufstellen. Wisst ihr was davon?“ Ihr könnt euch die Fragezeichen vorstellen, die sowohl bei unseren Kirchenvorstehern als auch bei mir über dem Kopf aufploppten. „Er sagt, er sei Restaurator und wollte jetzt unsere Kunstschätze in der Kirche wieder auf Vordermann bringen.“ Ah, so langsam machte es „klick“. Trotzdem waren wir alle noch etwas skeptisch. Wer bitte soll das bezahlen? Aber auch das klärte sich: Die Landeskirche war so freundlich. Also haben wir ihm natürlich die Türen weit geöffnet und er konnte sein Gerüst vor unserem Altar aufbauen.
Die offene Kirche mussten wir in dieser Zeit schließen, damit keiner heimlich aufs Gerüst klettert und abstürzt. Aber mit Karl-Heinz konnte man sich trotzdem gut unterhalten. Er brannte für seine Arbeit. Man sah in seinen Augen das Feuer, wenn er ins Schwärmen geriet. Ganz fein und akribisch ging er vor. Mit einem ganz weichen Pinsel fuhr er über den Altar. Der dröhnende Staubsauger fing die aufgewirbelten Partikel direkt aus der Luft. Er legte Schicht um Schicht des alten Kunstwerkes frei. Befreit es von der Last der Jahre. Es braucht Erfahrung, um zu erkennen, was Schmutz ist und weg kann und was zur Patina gehört. Zwei Wochen pinselte er sich Zentimeter um Zentimeter von ganz oben bis ganz unten. Wenn man jetzt vor dem Altar steht, kann man den Unterschied sehen. Die goldenen Farben reflektieren das Licht und die Farben strahlen wieder satt.
Das ist das Talent von Karl-Heinz. Er kann alte Dinge wieder zum Strahlen bringen. Er schaut sie sich ganz genau an, kennt ihre Geschichte. Ahnt, welche Arbeit der Handwerker in seine Erstellung gesteckt hat und beginnt dann mit seinem Werk. Ganz vorsichtig. Er fügt nichts hinzu, was da nicht hingehört, er nimmt auch nichts weg, von dem was ursprünglich da war. Er legt nur frei, was ohnehin schon immer da war. Bessert höchstens hier und da behutsam die Farben nach. Durch den Glanz, den er wieder herstellt, bringt er den Glanz in die Augen der Menschen, die dieses Kunstwerk bewundern. Die sich hier zum Gebet versammeln und das Abendmahl teilen. Das ist sein Talent: Kunst und Augen zum Glänzen bringen.
Vor etwa fünfeinhalb Monaten, da brachte etwas anderes die Augen von mir und meiner Frau zum Glänzen. Pünktlich zum Abendbrot um 19:01 Uhr erblickte unsere Tochter das Licht der Welt. Wobei man von erblicken noch gar nicht so richtig sprechen kann. Die meiste Zeit waren ihre Augen zusammengekniffen. Aber für uns war trotzdem schon klar, dass sie die schönste Tochter der Welt ist. Ich möchte an dieser Stelle selbstkritisch anmerken, dass das vermutlich alle Eltern über ihre Kinder sagen. Seis drum. Wir waren jedenfalls begeistert von diesem kleinen Wunder und natürlich waren wir auch stolz auf die Kleine, genauso, wie wir auch stolz auf unseren Sohn sind. Eltern betrachten ihre Kinder meistens mit Wohlwollen. Vor allem am Anfang. Und ganz bald kommt dann der erste Besuch zum Babygucken:
„Schau mal, sie sieht ganz aus, wie die Mama!“ „Nein, sieh dir doch mal die Augen an: ganz klar der Vater!“ „Eine echter Patzwald!“ Schon mal was in die Richtung gehört? Also wir schon recht häufig. Ich glaube, das bleibt als frischgebackene Eltern überhaupt nicht aus. Und dabei macht es auch überhaupt nichts aus, dass sich die Aussagen bisweilen direkt widersprechen. Jeder meint eben zu erkennen, was ihm am bekanntesten ist. Okay zugegeben, manchmal schaue ich auch genau hin und überlege, wo unsere Tochter, mir oder meiner Frau ähnlich sieht. War bei meinem Sohn übrigens nicht anders. Und ein bisschen warm wird es in der Magengegend auch, wenn jemand sagt: „Das Kind sieht dir sehr ähnlich.“ Man ist halt stolz und ich möchte mich ja schließlich in meinen Kindern auch wiedererkennen. Ich glaube, das ist ein Grundbedürfnis von Eltern. Aber meistens, wenn wir unsere Kinder anschauen, dann denken wir vor allem: Boah, sind die hübsch! Ein Wunder! Wir sehen in diese glänzenden Augen und können uns darin erkennen.
Ich glaube, die Aufgabe von uns Eltern ist es dann ein Leben lang dafür zu sorgen, dass dieses Glänzen zunimmt. Dass wir behutsam Schicht für Schicht das wegnehmen, was den Glanz unserer Kinder beeinträchtigt. Dafür muss man, glaube ich, ebenfalls ganz genau hinsehen, damit man nichts kaputt macht, nichts weg nimmt und nichts hinzufügt, was da nicht hingehört, denn schließlich ist jedes Kind für sich ein Kunstwerk, dass Gott einzigartig geschaffen hat. Manchmal muss man ein Gerüst aufbauen, um überall dranzukommen. Aber letztlich kommt es darauf an, dass sich ihre innere und äußerliche Schönheit entfalten kann. Ich glaube, das geht am besten mit dem weichen Pinsel und viel Liebe. Denn Kinder, die geliebt werden, spiegeln ein bisschen vom Glanz des Schöpfers. In ihnen kann man nicht nur die Eltern, sondern auch Gott erkennen. (Vgl. Mk 9,36f) Menschen, die die Liebe Gottes ausstrahlen, die heilen, zuhören, verbinden, die predigen das Evangelium, ohne ein Wort zu sagen.
Ich glaube, Jesus sah das ähnlich. Er sagt im Johannesevangelium, nachdem er in dem Himmel geblickt hat etwas über die Herrlichkeit und ein Synonym für Herrlichkeit ist der Glanz. Er sagt: „Vater, die Stunde ist jetzt da! Lass die Herrlichkeit deines Sohnes sichtbar werden, damit der Sohn deine Herrlichkeit sichtbar machen kann. Du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben. So kann er allen, die ihm anvertraut sind, das ewige Leben schenken. Darin aber besteht das ewige Leben: dich zu erkennen, den einzig wahren Gott, und den, den du gesandt hast, Jesus Christus. Ich habe auf der Erde deine Herrlichkeit sichtbar gemacht. Denn ich habe das Werk vollendet, das du mir aufgetragen hast. Lass nun an mir die Herrlichkeit wieder sichtbar werden, die ich hatte, als ich bei dir war – bevor die Welt geschaffen wurde.“
Weiter betet er: „Ich habe dich bei den Menschen bekannt gemacht, die du mir in dieser Welt anvertraut hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir anvertraut. Sie haben sich nach deinem Wort gerichtet. Jetzt wissen sie: Alles, was du mir aufgetragen hast, kommt wirklich von dir. Denn ich habe ihnen die Worte weitergegeben, die du mir aufgetragen hast und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir gekommen bin. Und sie glauben nun, dass du mich gesandt hast.“
Am Palmsonntag rollen die Menschen Jesus den roten Teppich aus. Weil sie verstanden haben, dass man in ihm Gott erkennen kann; dass sein Glanz der Glanz Gottes ist. In seiner Liebe hat Jesus geglänzt und damit gezeigt, wie Gott ist. Er hat Gott in den Augen der Menschen zum Strahlen gebracht. Mit seinem Leben hat er jeden Dreck abgewaschen, jedes Staubkorn entfernt. Hat ihn von dem Schmutz und der Patina gereinigt, die sich über die Jahre auf dem Bild von Gott gebildet haben. Mit dem Pinsel ist er über jeden Quadratzentimeter gefahren und hat hier und da eine verpfuschte Ausbesserung korrigiert. Und Gott hat Christus denselben Glanz verliehen. Er nimmt sich selbst den Mikrofaserlappen, der so ein bisschen kratzt auf der Haut und fängt an mit der feinkörnigen Polierpaste ganz vorsichtig die Kratzer auszubessern. Fügt nichts hinzu, nimmt nichts weg. Er fühlt die winzig kleinen Partikel, die den Glanz bringen. Jetzt glänzt er und in seinem Glanz können wir uns spiegeln und erkennen. Und wenn wir ein wenig zur Seite treten und den Blickwinkel ändern, dann sehen wir noch etwas in diesem Spiegel, nämlich den, der alles zum Glänzen bringt. Dann erkennen wir in Jesus Gott.
Ich mag die Vorstellung von so einem Gott. Ein Gott, der Schmutz von uns abwäscht durch die Taufe. Ein liebevoller, sorgfältiger, detailverliebter Gott, der uns zum Glänzen bringt behutsam mit einem Pinsel und viel Liebe.
Amen